Nikolaus hatte ein bewegtes Leben und war lange Zeit ein Betreuter von OBDACH e.V. Nachdem er im Jahr 2016 gestorben ist, hat sich seine Familie, besonders seine Schwester Heidi, auf Spurensuche begeben und sein Leben in Heidelberg nachverfolgt. Daraus ist folgender Bericht entstanden:

„Spurensuche“

Ein großer Wunsch machte sich auf den Weg nach Heidelberg und begann als eine Art der „Spurensuche“ nach Nikolaus (Klaus, unseren großen Bruder).
Und tatsächlich wurde uns dieser besondere Wunsch erfüllt und unterstützt durch die verschiedensten Begegnungen mit sehr herzlichen Menschen und mehr!
Die Reise nach Heidelberg starteten wir mit einem guten Frühstück bei Gerti. Danach fuhren wir gemeinsam los, auf der A5 in Richtung Heidelberg, um dort vielleicht einen kleinen Einblick in die Welt von Klaus zu bekommen oder dieser etwas realer zu begegnen.
Im November 2016 ist Klaus nach einem Zusammenbruch in die Klinik eingeliefert worden, er wurde reanimiert und ist dann in der Nacht vom 16.11. auf den 17.11.2016 auf der Intensivstation an Herzversagen verstorben. Damit sind wir „nur“ noch in Gedanken mit ihm verbunden, eigentlich schon seit einiger Zeit und seit vielen Jahren. Es gibt so manche offenen Fragen, die er uns leider nicht mehr beantworten konnte. Ein schwieriges Puzzle, das nie fertig geworden ist, da uns einige Teile der Lebensringe von Klaus fehlen und wir sicherlich nur wenig erahnen können, was die vielen vergangenen Jahre geschehen ist.
Wir sind gut angekommen in einem wunderschönen Hotel und Ambiente. Nach einer kleinen Pause ging es in die Innenstadt von Heidelberg.

Wir erlebten dort schon einen kleinen Einblick in dieses wunderschöne „Städtle“, das gefüllt ist mit Gassen und Straßen, schönen Häusern und Gärten, an der Bahnhofstraße entlang zur Geschäftsstelle OBDACH e.V. Schon dort fühlten wir uns spürbar näher an den Spuren, die uns Klaus hinterlassen hat.
Bei einem guten Abendessen, draußen sitzend, ging es uns im Gespräch immer wieder so, dass wir uns die verschiedenen Erinnerungen an Klaus und seine Lebenssituationen erzählten, jeder so wie er konnte und wollte.
Der nächste Tag war ein Freitag, an dem wir uns mit Herrn Bamarni (Sozialarbeiter von OBDACH e.V. und Betreuer von Klaus) in der Geschäftsstelle verabredet hatten. Ob sein Freund/Kollege/Mitbewohner Hans auch mit dazu kommen würde, blieb zu diesem Zeitpunkt noch offen.
Wir kamen in der Geschäftsstelle OBDACH e.V. in der Bahnhofstraße an und wurden freundlichst empfangen. Auch Hans war da, der, wie wir erfahren, bereits seit
10.00 Uhr auf uns wartete.

Zusammen mit Herrn Bamarni war auch Hans bereit mit uns ins Gespräch zu gehen und war für unsere Fragen da. Im Büro der Geschäftsstelle saßen wir zusammen und stellten unsere Fragen, die uns natürlich nicht einfach fielen. Doch es gab einiges an Spuren, die uns etwas näher brachten, wie Klaus seine letzten Jahre verbracht hatte. Meine Ohren erfuhren viel Wesentliches wie z.B. schwer in Ordnung“ war er, fleißig und tatkräftig, ein Einzelgänger und doch von vielen Seiten geschätzt und respektiert. „ Er fehlt uns“ so eine Stimme von Hans, „hat immer gearbeitet, so gut es ging sein eigenes Geld verdient, würdig, bescheiden und mit dem Herzen unterwegs, immer großzügig zu den Menschen, obwohl er selbst in einer sehr bescheidenen Haltung verharrte.“

Nach getaner Arbeit hatte er seine Lieblingsplätze aufgesucht. Dort oft verweilt, friedlich und in sich gekehrt. Wir erfuhren, dass er gerne gekocht hat und besonders gerne gegessen. „Viel zu viel“ sagten Hans und ein weiterer Mitbewohner, deshalb auch die deutliche Zunahme seines Körpergewichts. Klaus wurde krank, schon in den Jahren zuvor, organisch sehr angeschlagen, musste einige Male einen Klinik- aufenthalt machen, um wieder zu Kräften zu kommen. Aber lange hielte er es dort nie aus. Er entließ sich immer auf eigene Verantwortung, wollte zurück in seine eigene Welt (die nur ihm gehörte). Raus aus den gefüllten Räumen, um wieder frei zu sein, wie ein Vogel mit dem Wenigen was ihm persönlich an jedem einzelnen Tag wichtig war. Seiner traurigen und schmerzenden Seele einen Moment der Stille gönnen, Luft holen, an den Plätzchen seines Geschmacks, um ganz einfach nur in das Heute zu blicken. Leicht hatte es Klaus nie gehabt, doch er hat es immer wieder geschafft, weiter zu gehen auf seinem Weg des Lebens. Klaus hat nie aufgegeben. Er wollte „Stück für Stück“ finden, was ihn, nach einer schwierigen Zeit, glücklicher machen könnte. Ich glaube inzwischen, dass es die Kunst war den Abstand zum Geschehenen zu finden, aber auch die Sehnsucht nach Heimat – die er nie wirklich hatte. Klaus ging über einige Steine und musste einige Brocken verdauen. Harte Zeiten durchlebte er z.T. in einem Zelt zu jeder Jahreszeit, auf der Straße ohne Dach über dem Kopf, ohne Hab und Gut, in der Einsamkeit (die er auch brauchte), und sicherlich auch in unterschiedlichen Überlebensängsten.
Von seiner Herkunft oder Familie hat er niemandem etwas erzählt. Er wollte nicht darüber reden, blieb schweigend und distanziert, blockte sofort ab, wenn ihm jemand zu viele Fragen stellte. Eine Art „ Selbstschutz“, der ihm sicherlich sehr geholfen hat zu vergessen. Ob er seinen Weg des Lebens je vergessen konnte, dass weiß nur er. Wahrscheinlich nie!

Herr Bamarni und sein Mitbewohner Hans zeigten uns das Wohnhaus in der Rohrbacher Straße, in dem Klaus die letzten neun Jahre verbrachte.
Das sogenannte Dach über dem Kopf, in einem kleinen Zimmer auf dem 1. Stockwerk mit zwei weiteren Gleichgesinnten/oder Kollegen, denen es vielleicht ähnlich erging. Klar war sofort, dass alle auf der gleichen Ebene lebten und in ihrer Haltung unglaublich viel Zufriedenheit ausstrahlten, denn sie leben im „Jetzt für Morgen“. In diesem Haus empfand ich eine sehr würdevolle Stimmung, vor der ich nur „den Hut ziehen“ kann. Diese Menschen sind mit viel Freude, Dankbarkeit, Gelassenheit unterwegs und dem ganz einfachen und glücklichen Gefühl, ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben unter gleichgesinnten Menschen.
Wir gingen zu einem kleinen „Häuschen“ aus Stein gebaut, darunter zwei Holz- Bänke, eine zur rechten und linken Seite. Mama setzte sich auf die linke Seite. Es war die Stelle an der Klaus oft saß. Ein kleiner Engel, den Mama mitgebracht hat, sitzt nun auch dort, oder in Gedanken nun „Zwei“.
Es ging weiter zum Friedensplatz, der von einem kleinen Park umgeben ist. Auch dieser Platz gehörte zum Alltag von Klaus. Umgeben von Bäumen und deren Schatten, Vogelgezwitscher und Natur pur, Orte wie eine Art Oase des Friedens.
Klaus besaß auch ein Fahrrad, welches er wohl sehr oft und besonders abends zum Neckar nutzte, um auch dort wieder einen seiner „Lieblingsplätzchen“ aufzusuchen mitten im Grünen und dem schönen Blick zum Neckar. Dort hat Klaus vielleicht den Vögeln zugehört, seinen Blick schwelgen lassen über das klare blaue Wasser, die Schiffsfahrten beobachtet, den Menschen zugeschaut?!

Über dem Neckar erhebt sich auch ein kleiner Berg, umgeben von Wald. Den Wald hatte Klaus auch schon in seiner Kindheit als kleiner Junge – den Kandelberg.
Herr Bamarni nahm sich sehr viel Zeit und begleitete uns ins Gasthaus zum schwarzen Walfisch. Dort hatte Klaus einige Jahre in der Küche gearbeitet.
Wir tranken zusammen Kaffee und aus dem Bauch heraus fühlte es sich an, als wäre Klaus noch hier. Es war mir wichtig zu erfragen, ob es in den letzten Jahren einen Pächterwechsel gegeben hat? Und tatsächlich erzählte uns die Servicekraft, eine junge Frau, dass es sehr wohl einen Wechsel gab, aber das Schönste daran ist, dass es noch einen Koch gibt, der bereits seit 20 Jahren in der Küche arbeitet. Wir fragten, ob es möglich ist, dass wir kurz mit dem Koch sprechen können. Und siehe da, er kam und erinnerte sich sofort an Klaus. Man könnte fast sagen, dass er Tränen in seinen Augen hatte, als er in gebrochenem Deutsch die Worte ausspricht „…ein besonders guter Arbeiter, netter Kerl, war immer sehr fleißig und zuverlässig gewesen….“Und wieder einmal wird uns klar, dass Klaus lauter Spuren von Güte und Menschlichem bei den Menschen hinterlassen hat!
Es war ein besonders gutes Gefühl, wenn man den Menschen zuhörte, die unseren großen Bruder kennen gelernt haben.

Was ist rückblickend zu sagen:
Ich nehme von dieser Reise sehr würdevolle Begegnungen mit. Solidarisiere mich schnell mit diesen so einfachen und menschlichen Haltungen im „Hier und Jetzt“. Ich kann plötzlich das wirkliche „Glücklich sein“ ganz anders betrachten. Vielleicht sollten wir öfters in unserer Bescheidenheit bleiben, den verschiedensten Menschen
auf Augenhöhe begegnen und dabei nie den Boden unter den Füßen verlieren. Denn dort kann sehr gut spürbar werden, dass es weder um das Streben nach Macht oder Besitz geht, sondern eher „nur“ darum, den eigenen inneren Frieden zu finden.

Was ist Glück?
Glück fängt dort an, wo es nie vermutet wird. Es hört sich vielleicht komisch an, wenn ich aus dem Erlebten festhalte, dass das wahre Glück manchmal erst durch eine schwere Zeit oder Krise zum Vorschein kommt oder in einer besonderen Kraft spürbarer ist. Vielleicht viel intensiver und tiefer in einem klitzekleinen beachtlichen Moment, mit dem Gefühl wie z.B. „jetzt habe es endlich geschafft, es geht wieder bergauf“ etc.
Wenn ein Mensch in schweren Zeiten nicht aufgibt, sich treu bleibt, dann schafft er es auch, den Menschen mit Würde und Respekt zu begegnen und viele wohl- wollende Spuren zu hinterlassen. Und genau dort beginnt der Mensch wieder in seinem Herzen dankbarer und glücklicher zu sein.
Das Motto von OBDACH e.V. Heidelberg hat mich beeindruckt: Obdachlosen nicht nur auf der Straße helfen, Obdachlose von der Straße holen.
Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir zusammen diese Art „Spurensuche“ möglich gemacht und diese mit einigen tollen Menschen, die Klaus kannten, verbracht haben.

„Es gibt Menschen auf dieser Welt, die geben dir mit Worten und Gesten so viel Wertvolles in einem Augenblick“.
( Verfasser unbekannt)

Dankeschön
Diese „Spurensuche“ war nur möglich, da sich unser Bruder Siggi und seine Frau Nuray für das Finden von Klaus mit sehr viel Zeit, Herz und Zuversicht eingesetzt haben. Dafür möchte ich Siggi und Nuray sehr herzlich danken! Ebenso den Menschen, die dazu beigetragen haben, dass wir Klaus doch noch auffinden konnten.
Meinen ganz besonderen Dank möchte ich an Herrn Bamarni aussprechen.

Er hat uns besonders nach dem Tod von Klaus sehr oft begleitet, ist uns zur Seite gestanden, in Worten und vielen guten Taten. Aber auch allen anderen Menschen/Unterstützern, die Klaus betreut und ihm ihre Hilfe angeboten haben.
Meinen aufrichtigen Dank möchte ich auch seinem engeren Wegbegleiter „ Hans“ aussprechen. Durch ihn ist Klaus auf die Geschäftsstelle OBDACH e.V. aufmerksam geworden.
Klaus fand nun doch noch unter gleichgesinnten Menschen und Wegbegleitern ein Dach über dem Kopf finden, vielleicht das Gefühl einer kleinen Heimat oder zumindest Momente des Friedens.

Im Namen meiner Mutter und meinen Geschwistern sage ich ein herzliches „Vergeltsgott“ an OBDACH e.V., ganz besonders an die kleine Gruppe engagierter Heidelbergerinnen/Gründerinnen, die es nicht hinnehmen wollten, dass in Heidelberg Obdachlose missachtet und ausgegrenzt wurden.
Ebenso den vielen Ehrenamtlichen, den Mitgliedern und wohl-wollenden Spendern, den Kooperationspartnern, der Arbeitsagentur und der Stadt Heidelberg.

Heidi W., im Juli 2018