Bürgermedaille für Herrn Albertus Bujard

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Laudatio für Herrn Albertus Bujard aus Anlass der Verleihung der Bürgermedaille der Stadt Heidelberg am 18. Juli 2022 von Herrn Adelbert Graf von der Recke 

Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister Würzner,

sehr verehrte Damen und Herren, lieber Herr Bujard,

ich bin gebeten worden, einige Worte zum Engagement von Herrn Albertus Bujard im Verein Obdach zu sagen.

Im Jahre 2002 befand sich der Verein Obdach in einer Phase der Neuorientierung: Die Gründer hatten sich nach einem 15 Jahre währender Einsatz altersbedingt zurückgezogen, es mussten also neue Mitarbeiter für den Vorstand gefunden werden. Ich erinnere noch sehr gut, lieber Herr Bujard, an unser erstes Gespräch im Hause Dallwitz, als Sie versuchten, eine für Sie bis dahin unbekannte Welt der jahrelangen Obdachlosigkeit mit all den Zerrüttungen menschlicher Existenz und verlorener Würde zu erfassen.

Wichtig war: Sie ließen sich überzeugen, mitzumachen, übernahmen zuerst die Finanzen und nach einigen Jahren den Vorsitz im Verein. Es war nicht nötig, Ihnen viel Zeit zur Einarbeitung zu gewähren. Schnell zeigte sich, wo in besonderer Weise Ihr Interesse und Ihre Expertise lagen. Der Verein Obdach und wir Mitarbeiter haben davon reichlich Gebrauch gemacht, weshalb ich darauf etwas ausführlicher eingehen möchte.

Da die Ingenieurausbildung Ihnen die Bedeutung von Planung und Strategie vermittelt hatte, wurden in Zukunft bei Obdach nur noch Projekte nach durchdiskutierter und gründlicher Planung begonnen. Kein Schnellstart mehr, bevor man nicht weiß, wie lange, wie teuer, wie schwierig die Reise wird.  Und wer solls machen ? Das galt nun nicht nur für unsere Finanzen und das Budget, sondern auch für Betreuungspläne der Sozialarbeiter, für Wohnungsverwaltung, Mitarbeitertreffen, Ausflüge mit Obdachlosen, Weihnachtsfeiern oder Haus- und Zimmer-renovierungen. Allmählich wurden wir ein richtig gut organisierter Verein. Mit Blick auf Umsatz, Organisationsstruktur, Kostenkontrolle, Spendenquote und Anzahl der festangestellten und ehrenamtlichen Mitarbeiter gaben Sie uns oft den Titel „ein mittelständisches Unternehmen“.

Eine andere ihrer Leidenschaften hat uns noch viel tiefgreifender geprägt. Es war Ihre Überzeugung, dass ein Zusammenleben so unterschiedlicher Menschen wie Obdachlose, Hausnachbarn, Vermieter, die uns ihre Wohnungen anvertrauen, Sozialarbeiter und im größeren Umfeld dann auch die Bürger der Stadt jeder seinen auskömmlichen Platz und die Respektierung seiner Bedürfnisse in der Gemeinschaft finden soll. Und Obdachlose traten nun in Ihren Gesichtskreis und es war nicht schwer zu erkennen, dass diese Gruppe im täglichen Konkurrenzkampf schlechte Karten hatte.

Wo fing es bei Ihnen an, dass diese Forderung nach gerechter Teilnahme aller ein zentrales Anliegen wurde? Dass die Stillen und Schwachen auch Fürsprecher brauchen. Ich habe versucht, etwas tiefer zu schürfen:

Ich hörte, dass Sie als Student in Karlsruhe im dortigen ASTA mitarbeiteten. Das ist natürlich nicht weltbewegend, doch zeigt es, dass Sie früh bereit waren, über Ihren Tellerrand zu blicken, sowie Zeit und Energie für eine gemeinschaftliche Aufgabe einzusetzen.

Etwas aufrüttelnder waren sicher Erlebnisse im Berlin der 1968-er Jahre. Da wird berichtet, dass der junge Ingenieur, kaum läutete die Firmen-Glocke den Feierabend ein, per U-Bahn in die Innenstadt eilte. Dort gab es Protest und politischen Aufschrei, lautstarke Forderungen und polizeiliche Gegenmaßnahmen. Was Sie wohl am meisten ansprach war die Offenheit und Konsequenz, mit der die Regeln, nach denen wir in der Bundesrepublik weiter zusammenleben wollten, auch grundsätzlich diskutiert und nach Veränderungen gefragt wurde. Doch noch lagen Vision und Wirklichkeit weit auseinander. Leider zeigte sich bald, dass die Phase der Kompromisse oder des friedlichen Ausgleichs schnell vorbei war und die Prediger der Radikalität mehr Zuhörer und Gefolgschaft fanden. Und auch der Schlachtruf der lauten Aktivisten: “Expropriation der Expropriateure !“ – konnte Ihnen kaum gefallen haben. Das wäre ja dann wieder genau das gewesen, was Sie nicht wollten. Es sollten doch alle mitgenommen, gehört, berücksichtigt werden.

Was Sie aber wohl aus dieser Zeit verinnerlicht haben, war, dass man – um Ziele zu erreichen – keine Scheu haben soll, an die Öffentlichkeit zu gehen, einen langen Atem braucht und ein wiederholtes und – wenn nötig – auch lautes Vortragen der Argumente nicht schadet.

Wir verlassen Berlin, um Albertus Bujard auch auf seiner nächsten Station über die Schulter zu blicken. Mit beruflichen Einsätzen und privaten Besuchen kamen Sie ab den 1970-er Jahren wiederholt in die USA. Ich hoffe, es gab dort für Sie außer Arbeit und Sightseeing noch andere Themen, die Sie ausfüllten. In einem Staat mit ganz bescheidener Sozialgesetzgebung sind ja bürgerschaftliches Engagement der Kitt, der in Stadtteilen und Nachbarschaft, in Kirchengemeinden und Vereinen das Leben erträglich macht und über viele Unbilden hinweghilft. Und zum Mitmachen wird fast jeder eingeladen. So haben Sie gewiss unzählige Amerikaner getroffen, die selbstlos, unkompliziert, ohne staatlichen Auftrag, aber mit einem warmen Herzen den Schwachen unter die Arme griffen.

Zurück in Deutschland kandidierten Sie für den Gemeinderat und waren dort ab 1975 während 2 Wahl-Perioden als Vertreter der SPD. Die Chance, in gemeinsamen Anstrengungen von ca. 50 Kollegen „der Stadt Bestes zu suchen“ (so formuliert es ja der Prophet Jeremia vor 2600 Jahren: Jer. 29, 7), konnte Ihrem Anliegen, nämlich für die Gemeinschaft etwas Gutes erreichen zu wollen, nur entgegenkommen. Auch wenn Sie erleben mussten, dass Parteien und Fraktionen selten am gleichen Ende des Seils den Wagen ziehen, hatten Sie doch die Möglichkeit, mit Phantasie und Tatkraft für einige Ihrer damaligen Themen zu kämpfen.

Als Albertus Bujard dann im Jahre 2002 zum Verein Obdach stieß, spürten wir, dass er auf seinen bisherigen Wanderstationen vielseitige Erfahrungen gesammelt und sich Gedanken über das Zusammenleben in einer Gemeinschaft gemacht hatte, die dem Verein Obdach nun zu Gute kamen.

Ich weiß nicht, ob Sie sich den alltäglichen Umgang mit Obdachlosen so vorstellen können. Wie kommt man an diese Menschen innerlich heran, gewinnt ihr Vertrauen, kann nicht nur die äußerlichen Lebensumstände verbessern, sondern ihnen auch helfen, wieder Würde und Stabilität zu gewinnen? Wird Hilfe überhaupt angenommen oder aus Stolz verweigert ? In wieweit sind Menschen nach dem jahrelangen einsamen Kampf auf der Straße noch wohnfähig, noch bereit, eine Zimmer-an-Zimmer-Nachbarschaft zu ertragen und häusliche Alltagsaufgaben zu übernehmen? Auch Albertus Bujard fragte am Anfang noch häufig bei auftretenden Problemen nach der Expertise der Sozialarbeiter. Wo doch in Bujards beruflichen Leben bisher die Suche nach Lösungen in der Ingenieurkunst nach den fest gegründeten Gesetzen von Geometrie und Mechanik abliefen. Und nun diese unberechenbaren Leute, deren Reaktionen und Verhallten sich nicht mit den bei Albertus Bujard so beliebten Exel-Funktionen voraussagen ließen!

Sehr vorteilhaft war, dass Sie keine Berührungsängste hatten und von Anfang an das Gespräch suchten. War das Vertrauen aufgebaut, konnten Sie dann auch mit den Betroffenen über eine Biografie des Scheiterns, über die Flucht vor Verantwortung, über die nicht abgelösten Bürden von Geldschulden und Straffälligkeit, über die Schwäche gegenüber den Verlockungen von Alkohol und Drogen sprechen.

Wir haben in den folgenden Jahren viele Aktionen gestartet, die alle im Blick hatten, den Betreuten wieder Selbstbewusstsein, Gesundheit, Hilfe bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben zu ermöglichen. Eine Krankenschwester bot Gesundheitsbetreuung an. Ein Koch ging mit den Betreuten zum Wochenmarkt und zeigte ihnen dann, wie mit wenig Geld gehalt- und geschmackvolle Gerichte vorbereitet werden können. Eine ehemalige Lehrerein besuchte Berufsschulen und erläuterte an erlebten Beispielen, wie schnell eine jugendliche Krise in die Obdachlosigkeit abgleiten kann.

Ein wertvoller Beitrag zur Reintegration der ehemals Obdachlosen in den Arbeitsmarkt waren die Beschäftigungsinitiativen. Arbeitsamt und Jobcenter förderten diese Bemühungen und nach und nach fand ein großer Kreis der Betreuten Beschäftigungen in Zusatzjobs, bei externen Organisationen und bei Obdach. Dann waren auch wieder Selbstbewusstsein, Zufriedenheit über geleistete Arbeit und Stolz auf das selbst verdiente Geld gewachsen.

Wir gründeten ein Handwerkerteam. Nun waren Renovierungen und Reparaturen in den verwohnten Zimmern zu erträglichen Kosten möglich.

Das größte Projekt war in den Jahren 2007 und 2008 die Grundsanierung des 4-stöckigen Gebäudes in der Rohrbacher Straße. Für einen ehrenamtlich tätigen Vorstand ein Mammutprojekt, in das v. a. Herr Bujard unendlich viel Zeit, allein schon für die Themen Finanzierung, Planung, Architektenabsprachen, Handwerkereinsatz, Zimmerausstattungen ect. einbrachte. Die Stadt half mit einem Beitrag von € 150.000 bei Gesamtkosten von ca. € 600.000, die Obdach zusammentragen konnte. Sie dürfen voraussetzen, dass bei Bujard-scher Planung das Budget für das Bauprojekt nicht überzogen wurde. Am Ende waren noch 22.117 Euro übrig. Und wir waren überwältigt von der Einsatzfreude und der Qualität der Arbeit, mit der die ehemals Obdachlosen bei dieser Grundrenovierung mitgemacht hatten.

2004 gaben wir dem Verein einen passenderen Namen, wobei wir quasi als unser Programm die Worte „Wohnung, Betreuung, Beschäftigung“ hinzufügten.

Ein Anliegen von Albertus Bujard war es, den Verein „zukunftsfähig“ zu machen. Dabei ging es nicht nur um Geld, sondern auch um die rechtliche Struktur, die Einbindung in die soziale Aufgabenstellung der Stadt Heidelberg und die Absprache mit den anderen Organisationen mit sozialem Engagement bezüglich der Arbeitsfelder. So kam es 2008 zur Gründung der Obdach-Stiftung, die inzwischen mit erheblichen Zuweisungen die Arbeit von Obdach unterstützen kann.

Albertus Bujard’s Leidenschaft gilt der Öffentlichkeitsarbeit. Sein Motto: Die anderen sollen wissen, was wir machen und uns dabei helfen.

In regelmäßigen Abständen erhielt der Sozialausschuss des Gemeinderates in seinen Sitzungen eine ausführliche Information über die Arbeit des Vereins mit Menschen am Rande der Gesellschaft, verbunden mit dem Dank für die gute Kooperation zwischen Stadt und Obdach.

Die Zusammenarbeit mit der Stadt wurde intensiviert, wir erfuhren die Unterstützung der damaligen Oberbürgermeisterin Frau Beate Weber und des damaligen Leiters des Sozialamtes, Herrn Wolfgang Reinhard und seiner Mitarbeiter. Nun wurden nach individuellen Betreuungszielen und Betreuungsinhalten zwei Personengruppen gefördert, je nachdem, ob sie nur vorübergehend oder langzeitlich Unterstützung erfahren mussten.

Die Idee, gespendete Kunstwerke aus Privatbesitz zu versteigern, war schon älter. In der Bujard-Zeit wurde die Kampagne mit gutem finanziellem Erfolg fortgeführt, nun jedoch von Ihrer Frau professional mit bebilderten Katalogen vorbereitet.

Zum Schluss die Erinnerung an eine Ausstellung von Kunstgegenständen, hergestellt von ehemals Obdachlosen, die gemalt, gebastelt, gedrechselt, geschnitzt und mit weiteren Techniken Kreatives geschaffen hatten. Da zeigte sich so viel Begabung und Leidenschaft fürs Schöne, die Jahre hindurch von den Zwängen des Überlebens auf der Straße verschüttet gewesen waren. Die Ausstellung lief unter dem passenden Namen: Grenzgänger und Heimkehrer.

Damals, Herr Bujard, als Sie vor 10 Jahren mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurden, durfte ich auch eine kleine Rede halten, die mit dem Satz abschloss: Nun ist ein Bundesverdienstkreuz ja nicht eine Auszeichnung für Tüchtigkeit in der Vergangenheit, sondern ist doch vor allem auf die Zukunft ausgerichtet, also ein Ansporn und eine Einladung an Sie für ein weiteres großes Engagement in den kommenden Jahren. So waren wir doch damals sehr gespannt, was da noch kommen könnte. Ich kann nur sagen: S‘geht doch ! Etwas Anschub und Aufmunterung, eine Einladung oder etwas Ehrgeiz, und schon engagierte sich der damals 77-jährige Pensionär dann in weiteren großen städtischen Projekten. Und mit zunehmendem Alter wurden es statt weniger ja immer mehr! Wir werden sicherlich hören, was dabei herauskam.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Geduld und Ihr Zuhören.

 

Presseartikel aus der Rhein-Neckar-Zeitung vom 20.07.2022 HIER.

 

Foto: Philipp Rothe, 18.07. 2022